Der Blues ist schwer zu fassen. Das schreibt Carl-Ludwig Reichert in der Einleitung zu seinem Buch über eine Form populärer Musik, über die schon viele wissenschaftliche Werke und Liebhaberfantasien veröffentlicht wurden. Im Unterschied zu manchen Bluesforschern und Fans steckt Reichert allerdings nicht bis zu den Ohren im Zwölftaktstoff, geht das Thema daher auch nicht als Fanatiker einer bestimmten Schule, Region oder Ideologie an, sondern outet sich als Quertreiber … mehrzwischen all den vielen Fachleuten, die Bluesgeschichte geschrieben haben. Verblüfft erfährt der Leser etwa, Captain Beefheart alias Don Van Vliet sei ein definitiver Bluessänger -- Puristen winken da ab. Auch anderswo eckt der Autor in seiner Geschichte des Blues und seiner vielen Mythen an, mit denen er wacker ins Gericht geht. An in hiesigen Breiten beliebten Themen wie den Blues Brothers lässt Reichert kein gutes Haar; dafür aber entdeckt er eine Menge Musiker, die dem gewöhnlichen Bluesfan bisher entgangen sind. Und selbst im "Elend teutonischer Provinz-Blueserei" -- Reichert über die deutsche Bluesszene -- findet der selten moderate Privatgelehrte aus Bayern noch den einen oder anderen echten Tipp (zumeist im Süden der Republik). Erfreulich respektlos ist die kommentierte Bibliografie im Anhang, etwas lang gerät die Diskografie, die beigelegte CD entpuppt sich als Werbezugabe einer Plattenfirma. Die Musik darauf ist trotzdem okay. Reicherts Reise vom Mississippi über New Orleans und Chicago bis in die Scratch- und Sample-Gefilde von heute ist flott geschrieben, in hohem Maße informativ und wird zum Teil sicherlich die Leserschaft polarisieren. Ist der Blues nach dieser Lektüre immer noch schwer zu fassen? --Uli Lemke weniger