Eine der elegantesten und wirksamsten Möglichkeiten der Auseinandersetzung mit außergewöhnlichen Umständen ist ihre Rückführung ins Gewöhnliche. Simenon schrieb La neige était sale 1948 in Tucson, Arizona, sozusagen aus der Distanz heraus. Vielleicht ist eben jene Distanz der Grund für das Unbehagen, das seine völlige Vermeidung jeden Urteils verursacht. Frankreich im 2. Weltkrieg. Es ist ohne Belang, in welcher Stadt wir uns befinden. Es ist eine besetzte Stadt und es … mehrist Winter. Die Menschen stehen Schlange nach etwas Kohl und trocken Brot, die Heizkohle ist ihnen schon lange ausgegangen. In mehrere Schichten Pullover und Mäntel gehüllt sitzen sie in ihren Wohnungen oder gehen, soweit ihnen dies möglich ist, einer ehrlichen Tätigkeit nach. Frank Friedmaiers Mutter führt ein kleines Hinterzimmerbordell, dessen sich auch der 18-Jährige ohne wirkliches Interesse regelmäßig bedient. Sie haben Geld, zu essen, die Wohnung ist beheizt, und er treibt sich ziellos in Kneipen und zweifelhafter Gesellschaft herum. Mit seiner üblichen Gleichgültigkeit bedient er sich des Mädchens von gegenüber, die maßlos in ihn verliebt scheint. Erst in der Gefangenschaft der Besatzer, in die er durch grobe Fehleinschätzung der Verhältnisse geraten ist, wird ihm klar, was er aufs Spiel gesetzt hat und welchen Preis er dafür zahlen muss. Die Wochen, die Frank eingesperrt in dem zur Zelle umfunktionierten Klassenzimmer verbringt, gehören zum Besten, was Simenon geschrieben hat. Die "Liebesgeschichte" zwischen Frank und Sissy erscheint allerdings eher aufgesetzt, auch wenn sie Dreh- und Angelpunkt der Handlung und von Franks Reflektionen ist -- zu viel ist zu viel. Neben der Witwe Couderc wird Der Schnee war schmutzig stets auf den Listen von Simenons besten Büchern geführt. Mir gefällt er besser, wenn er nicht so dick aufträgt bzw. so moralisch daher kommt -- gute Gegenbeispiele sind 45 Grad im Schatten oder Die Wahrheit über Bébé Donge; womit nicht behauptet werden soll, Der Schnee war schmutzig sei kein beeindruckendes und lesenswertes Buch. --Hannes Riffel weniger