"Mitbürger! Dies ist das letzte Mal, dass ich mich an Sie wenden kann!" Der 11. September, damals schon ein Unglücksdatum. An diesem Tag des Jahres 1973 wandte sich der Präsident ein letztes Mal an sein Volk -- via Telefon. Salvador Allende hatte sich mit wenigen Getreuen in der Moneda, dem Regierungspalast verschanzt, bereit, den anrückenden Putschisten unter Pinochet Widerstand bis zum Äußersten zu leisten. Als die eindringenden Militärs Allende in seinem Lehnstuhl … mehrsitzend tot auffanden, war das Schicksal des Landes besiegelt: Chile hatte nicht nur seinen einzigen Hoffnungsträger, sondern auf Jahre hinaus auch seine Freiheit verloren! Eine Chronik der Allendes strebt fast unweigerlich auf Salvador Allende zu, diese 1908 geborene Lichtgestalt und Fixstern der "Kennedys Lateinamerikas". Wie ein roter Faden zog sich von Anbeginn an eine demokratische Gesinnung durch diese Familie: Fast jedes ihrer politisch aktiven Mitglieder kämpfte vehement für die Durchsetzung einer neuen, gerechteren Welt. Bereits Mitte des 19. Jahrhunderts machte sich der "rote" Ramón Allende Padin, ein erzliberaler Mann und Großvater des späteren Präsidenten, einen Namen im Kampf gegen Großgrundbesitzer, für Bürgerrechte und eine Trennung von Staat und Kirche. Der Südamerika-Experte Günther Wessel liefert, komprimiert auf 200 Seiten, ein hervorragendes geschichtliches Bild dieses bis zum Unabhängigkeitskrieg 1814 von den Spaniern ausgebeuteten Landes -- das der Seefahrer Magellan 1520 als erster Europäer erblickte -- und beleuchtet Aufstieg und Zerfall seiner wohl bedeutendsten Dynastie. Im Schlusswort zeichnet die Schriftstellerin Isabel Allende das resignative Bild einer seit dem Pinochet-Putsch und dem Selbstmord des Präsidenten völlig zerstörten Familie. Ihres Zentrums Santiago de Chile sowie des stärksten familiären Bindeglieds beraubt, sollte sie nie wieder zusammenfinden. Womöglich kein Trost, aber späte Genugtuung: Die Errichtung eines Denkmals für Salvador Allende im Juni 2000 stellte für die politische Rechte in Chile eine fast stärkere Niederlage dar als die Verhaftung des Diktators Pinochets 1999 in London. --Ravi Unger weniger