Lange, sehr lange ist es um Silvio Blatter still gewesen. Sehr still. Denn er hat den PC gegen den Pinsel eingetauscht und sich der Malerei zugewandt. Aber dass dieser Abschied kein Abschied auf immer sein würde, war schon irgendwie klar. Denn Blatter hat in den Siebziger- und Achtzigerjahren ein voluminöses Werk hingelegt, in dem er den Landstrich Freiamt auf fast 2.000 Seiten durchmessen hat. Damals schon beeindruckte (und beeindruckt noch immer) Blatters Liebe zu … mehrseinen Figuren, denen er wohl Schicksalsschläge zumutet, die er aber wie ein gütiger Vater nie aus dem Leben fallen lässt. Es war und ist gerade diese Zuneigung zu seinem literarischen Personal, das dazu geführt hat, seine Bücher mit Freude zu lesen. Das soll sich jetzt auch nicht ändern. Denn Silvio Blatter hat eine Novelle geschrieben und kehrt damit ins literarische Bewusstsein zurück. Mächtig sogar. Blatter hat seine Literatur ein wenig verschlankt -- nein, dicklich war sie nie gewesen, aber von Verzierungen besetzt. Frei davon, fast schon nüchtern, aber immer noch mit der gleich liebevollen Natur erzählt er in der Novelle Die Glückszahl die Geschichte eines Sommers voller Liebe: die Geschichte von Philip, der beim Tennis ein Mädchen kennen lernt, Jodie. Philip lebt mit seinem Vater Markus zusammen. Und der verliebt sich -- Ironie des Zufalls oder des Schicksals? -- in Liska, die Mutter Jodies. Es ist gerade diese Zufälligkeit, die das Buch zu einer Lektüre formt, die man nicht missen möchte. Das Verhältnis von Vater und Sohn weicht, weil beide lieben, dem Verhältnis zweier gleichartiger, wenn auch nicht gleichaltriger Männer. So ist die Liebe eines Sommers auch die Liebe eines Sohnes zu seinem Vater und umgekehrt. Gleichzeitig ist die Novelle auch die Geschichte davon, wie Söhne erwachsen (und Väter manchmal wieder Kinder) werden. Eine Geschichte allerdings, die in einer Katastrophe endet. Eine, die keiner in diesem Quartett ahnen konnte. Blatter geht, und das ist die philosophische Ebene der Novelle, auch der Frage nach, wie viel in unserem Leben vorbestimmt ist und wie viel nicht. Sind Schicksal und Zufall nicht näher beieinander, als wir gemeinhin annehmen möchten? Blatters Novelle hat mit dieser zweiten Schicht, die wie Firnis über einem Bild liegt, der sommerlichen und heiteren Liebesgeschichte eine Tiefenschärfe verpasst, die den Leser noch lange gefangen hält. Nicht zuletzt deshalb, weil die Katastrophe am Ende der Geschichte (und am Ende des Sommers) beide Ebenen zusammenführt. Meisterlich, gewiss. --Carlo Bernasconi weniger