Das Buch ist eine Überraschung, und zwar eine sehr positive. Denn liest man den Titel Geheimnisse am Jakobsweg. Wundersame Legenden und mysteriöse Geschichten, so liegt die Schlussfolgerung, dass es sich hierbei um einen frömmelnd-missionarischen Pilgerführer handelt, nahe, doch weit gefehlt. Das Buch ist sehr gut zur Vorbereitung und Begleitung für alle geeignet, die sich auf den Weg nach Santiago de Compostela zum (angeblichen) Grab des Heiligen Jakobus machen wollen, … mehrdenn es bietet -- und das gehört zur Überraschung -- handfeste Reiseinformationen inklusive Lage und Anfahrtsweg, Öffnungszeiten, Geschichte sowie besonderen Tipps für die unterschiedlichen Routen und einzelnen Stationen. Bevor die Reise beginnt, gibt es eine kurze Einführung zum Ursprung des Jakobuskultes, die angenehm kritisch und ironisch Fakten und Fiktionen erläutert. Für die erste Etappe stehen zwei Reisewege zur Auswahl, der "Aragonesische Weg" (Monasterio de Leyre-Burgui-Obanos) und der "Französische Weg" (Roncesvalles-Pamplona-Monjardin). Weiter geht es dann auf einer Route durch die Rioja, Kastilien-Leon nach Galizien. Dieser Einteilung folgen auch die Kapitel des Buches. Die zweite Überraschung bieten die Geschichten und Legenden über die teilweise so gar nicht edlen und verehrungswürdigen Figuren, ihre Taten und Erlebnisse. Sie sind geprägt durch die rauen Zeiten des Mittelalters, maurische Herrschaft und Reconquista (Roncesvalles, Nájera; Burgos), Banditen (Pamplona) und unerfüllte Liebe (Burgui). Die Begebenheiten von Mönchen und Äbten, Pilgern, Heiligen und ihren erlebten oder begangenen Wundern sind natürlich in der Überzahl, vor allem je näher der Reisende/Lesende dem Ziel Santiago kommt. Bemerkenswert ist, mit wie viel Gespür für die Feinheiten der problematischen, da hagiografischen Überlieferung sie wiedergegeben werden. Historisches und Fiktion sind so weit möglich sauber getrennt (Info-Kästen mit Sachinformationen). Witz und Ironie ebenso wie Lakonik kennzeichnen den Stil von Andreas Drouve. Geheimnisse am Jakobsweg sind nicht nur äußerst unterhaltsam, sondern bieten auch eine Reise durch die Kulturgeschichte Europas, die zu lesen sich in jedem Fall lohnt, auch wenn man nicht vorhat, auf den Pilgerspuren zu wandeln. --Osseline Kind weniger