"Ungeheuer ist viel, doch nichts ungeheuerer als der Mensch!" ( Antigone , Tragödie von Sophokles). Das ist das Thema. Eine alte Frau in einem anonymen Hochhausblock, irgendwo in Frankfurt. Ein ungeheuerliches Leben liegt hinter ihr. Was geblieben ist, ist die Einsamkeit. Draußen pulsiert die Welt, ihre Gedanken jedoch kreisen unaufhörlich um ihre Vergangenheit. Als Jüdin im holländischen Exil, die Flucht vor den Nazihorden, der gewaltsame Tod der Lebensgefährten und … mehrschließlich ihre eigenen Schuldgefühle, überlebt zu haben. Und immer wieder hält sie Zwiesprache mit Antigone, dieser heldenhaften Tochter des Ödipus, die dem Tyrannen Kreon bis in den eigenen Tod hinein Widerstand leistet. Antigone ist ihr in langen Jahren zur Schwester und moralischen Instanz geworden. "Zum Hasse nicht, zur Liebe bin ich." Ein hoher Satz. Hochmoralisch, ohne Gott zu bemühen. Ein Satz, an dem man sich messen lassen muß. Manchmal haßt sie die Arroganz der Märtyrerin und deren bedingungslose Opferbereitschaft, die ihr die eigene Unzulänglichkeit und den mangelnden Mut in der Zeit der Naziherrschaft so schmerzlich vor Augen führt. Sie plant ein Buch darüber zu schreiben und weiß, es wird nie vollendet werden. Das Leben der 1906 geborenen Grete Weil ist ein immerwährendes Anschreiben gegen das Vergessen und Vergessenwerden. Seit ihrer Erzählung Ans Ende der Welt , über die Deportation einer Amsterdamer Judenfamilie, arbeitet die knapp dem Konzentrationslager entkommene Schriftstellerin an seismographisch genauen Schilderungen über Verfolgte und Verfolger. Grete Weils erschütterndes Werk steht als Mahnwache, gerade auch für die jüngere Generation, einzigartig da. --Ravi Unger weniger