Unter all den italienischen Autoren, die die Literatur allgemein und im besonderen die Kriminalliteratur in den letzten Jahren bereichert haben, ist eine völlig neue und ungewöhnliche Stimme hörbar geworden. Die Stimme eines neapolitanischen Autors, Songwriters, Schauspielers und Kabarettisten, geschult an der beinharten Realität der Vorstädte und der Elendsviertel seiner Heimatstadt. Genau dort in Neapel hat Peppe Lanzetta die Helden seines neuen Romans gesucht und … mehrgefunden. Jugendliche Helden, die sich und ihre Träume mit allen Mitteln gegen die Tristesse und Verzweiflung einer Gegenwart ohne Perspektive zu verteidigen suchen. Anna, genannt La Rossa, liebt Marco. Marco liebt sie auch, aber er liebt auch die Droge und läßt sich mit der allgegenwärtigen Camorra ein. Schon ein kleiner Griff in deren Kasse hat genügt -- Marco wird brutal ermordet.
"Als La Rossa erfuhr, daß sie Marco umgebracht hatten, erstarrte sie zu Stein." Innerlich wird sich Anna nie wieder aus dieser Versteinerung zu lösen vermögen, nach diesem Zeitpunkt lebt sie nur noch für ihre Rache. Sie setzt dabei die Mittel ein, die ihr geblieben sind -- ein wenig Geld, ihren Körper, ihr Leben. Dieser Kriminalroman spricht eine äußerst drastische Sprache. Harter Sex, Gewalt und Zynismus sind verläßliche Begleiter der Handlung. Trotzdem schafft Lanzetta wunderbar poetische Momente, Szenen, in denen für kurze Zeit Zuneigung, Liebe und Menschlichkeit spürbar werden und die aller geschilderten Verzweiflung zum Trotz ein wenig Hoffnung aufkeimen lassen. Peppe Lanzettas stark sozialkritisch gefärbter Krimi präsentiert ein anderes, sonst eher verdrängtes Italien. Er gehört zweifellos zu den wichtigsten und empfehlenswertesten Neuerscheinungen dieses Jahres. Seine Heldin La Rossa wird vielen Lesern als eine der wirklich tragischen Heldenfiguren in Erinnerung bleiben. Und wer Gelegenheit hat, Lucio Dallas "Anna e Marco" von 1979 auf CD zu hören, sollte dies nach Lektüre unbedingt tun. --Ulrich Deurer weniger