"Ritsch, ratsch fährt das Messer in den Stoff an der schmalen Seite des Taschenbodens. Dann, ganz langsam, zieht der Mann das Messer raus und ich sehe etwas Weißes leuchten pulvrig wie frisch gefallener Schnee!" Es war der 21. Januar 2001, als man die ahnungslose Andrea Rohloff am Flughafen von Izmir verhaftete. In ihrer Tasche befanden sich sechs Kilogramm Heroin. Nicht wenige Menschen sind schon aufgrund geringerer Vergehen in türkischen Gefängnissen auf immer … mehrverschwunden. Auf Andrea Rohloff warteten bis zu 30 Jahre Gefängnis! Mehr als einmal im Verlauf der Lektüre erhebt sich die Frage, wie unschuldig jemand sein kann, der von der Freundin den Auftrag erhält, eine schwere Tasche aus der Türkei zu transportieren, dafür 6.000 DM versprochen bekommt -- und sich (angeblich) nichts dabei denkt? Selbst bei der blauäugigsten 18-Jährigen hätten spätestens hier bezüglich Drogenschmuggels sämtliche Alarmglocken läuten müssen. Dermaßen hin- und hergezogen zwischen ungläubigem Kopfschütteln und Mitgefühl zeigten sich alle Beteiligten, die mit Andrea Rohloffs Fall in Berührung kamen. Andreas Gefängnisbericht, auf Anregung ihres türkischen Anwalts zu Stande gekommen, bewegt sich zwischen Zerknirschtheit und Uneinsichtigkeit. Beharrlich weigert sie sich, zu glauben, von ihrer besten Freundin Jenny als Drogenkurierin für einen Dealer-Ring benutzt worden zu sein. Allein die Wortwahl des geschilderten polizeilichen Verhörs ("zwingen sie mich zu petzen, unsere Freundschaft zu verraten"), nährt die Vermutung, dass Andrea längst nicht den Reifegrad vorweist, den sie sich vor Antritt ihrer Reise selbst attestierte. Auch der türkische Gefängnisalltag (in der Tat wurde ihr kein Haar gekrümmt) gerät in ihrer Sicht zu einer Art verschärftem Abenteuerurlaub. Vielleicht waren es jene Naivität und Zuversicht, die sie mit einem blauen Auge davonkommen ließen. In der Türkei zu sechs Jahren Haft verurteilt, wurde Andrea nach einem Jahr einer Berliner JVA überstellt und schließlich im März 2003 vorzeitig entlassen. Man wünscht dieser nicht unsympathischen jungen Frau einen durch das fürchterliche Erlebnis hoffentlich etwas geschärfteren Blick für die Realitäten des Lebens. --Ravi Unger weniger