Andrew Solomon ist depressiv und muss täglich zwölf verschiedene Pillen schlucken. Er hat schwere Zusammenbrüche hinter sich, ist aber soweit stabilisiert, dass er wieder schreiben kann. Ergebnis seiner jahrelangen Recherche und Beschäftigung mit dem Phänomen Depression ist ein ungewöhnliches Buch, in dem er sowohl eine Reise in die eigene Innenwelt unternimmt, als auch die psychologischen, medizinischen, gesellschaftlichen, historischen und anthropologischen Fassetten … mehrdieser Krankheit auf sehr intelligente Weise betrachtet. Trotz vielfältiger Forschungsbemühungen haben wir es immer noch mit einem Rätsel zu tun: "Letzten Endes kennen wir weder die Ursachen der Depression noch ihre Grundlagen, wissen auch nicht, warum bestimmte Therapien dagegen helfen, wie sie den evolutionären Selektionsprozess überstehen konnte, warum jener sie bekommt, während dieser völlig unberührt davon bleibt". Umso spannender sind deshalb diese Fragen und auch die diskutierten Antwortmöglichkeiten, etwa warum es die Depression gibt, ob sie nicht doch irgend einen evolutionären Nutzen hat. "Saturns Schatten" profitiert sehr von den schriftstellerischen Qualitäten Solomons (die er bereits im Roman A Stone Boat bewiesen hat): Weder sind die wissenschaftlichen und philosophischen Betrachtungen zu trocken und abgehoben, noch die Innenansichten der Depression (der eigenen und der zahlreicher Gesprächspartner) zu wehleidig. Solomon beweist sogar Humor und Selbstironie, wenn er von seinen skurrilen Erlebnissen bei der Suche nach einem geeigneten Psychotherapeuten berichtet oder als er alternative Heilmethoden ausprobiert und bei einer Ndeup-Zeremonie -- einem animistischen Ritual im Senegal -- zum Klang von Trommeln zusammen mit einem Schafbock unter "zwei Dutzend Decken" gesteckt wird. Abgesehen von einigen Längen kann Saturns Schatten auf ganzer Linie überzeugen und hebt sich deutlich von der Vielzahl von Ratgebern und wissenschaftlichen Publikationen zum Thema ab -- durch eben diese Verbindung von persönlicher und intellektueller Tiefe. Und am Ende steht die Erkenntnis, dass Melancholie und Depression zum Menschsein gehören und neue Einsichten ermöglichen können: "Zwar hasste ich depressive Zustände, lernte in ihnen aber auch meine Grenzen und den Horizont meiner Seele kennen." --Christian Stahl weniger