Die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Gehirn hat etwas Merkwürdiges an sich: Man untersucht das Organ, welches uns überhaupt erst ermöglicht, irgendetwas zu untersuchen. Wenn dann die empirischen Beobachtungen den eigenen Erwartungen widersprechen, wird es besonders kompliziert. Viele Debatten über das Gehirn, insbesondere solche, in denen es um die Frage nach dem Wie und Was unseres Bewusstseins geht, bewegen sich daher auf einem sehr abstrakten Niveau. Detlef … mehrLinkes Buch nimmt Bezug auf diese Debatten. Es ist also keine Einführung in die Funktionsweise des Gehirns, sondern eine nur für Sachkundige verständliche Darstellung der mit dem Denkorgan verbundenen philosophischen Problemstellungen und verschiedener Lösungsansätze. Der Autor, Mediziner und Professor für Klinische Neurophysiologie und Neurochirurgische Rehabilitation an der Universität Bonn, würzt seine philosophische Abhandlung mit bekannten und weniger bekannten Ergebnissen der Gehirnforschung. So erzählt er zum Beispiel von Experimenten mit Epileptikern, bei denen der Balken zwischen den Gehirnhälften durchtrennt wurde und folglich die linke Hand buchstäblich nicht mehr wusste, was die rechte tat. Auf dieser Basis stellt er traditionelle Ich-Konzeptionen in Frage. Auch die Problematik der Nahtoderfahrungen bleibt nicht unerklärt: alles nur Hirngespinste! Linke beschäftigt sich mit dem Leib-Seele-Dualismus und der Frage, ob Glück durch Gerechtigkeit erlangt werden kann. Er spricht von der Rolle des Gyrus cinguli, der Selbstkorrigierbarkeit bewussten Handelns, dem Problem des graduellen Wirklichkeitsaufbaus nach einer Narkose, der Frage der Kodierung von Informationen im Gehirn und etlichen weiteren philosophische und physiologischen Problemen. Nähere Erklärungen von Experimenten oder Funktionszusammenhängen sucht man meist vergebens, der Autor setzt die entsprechenden Kenntnisse beim Leser voraus. Wer nicht über diese Kenntnisse verfügt oder keine philosophischen Interessen hegt, den wird dieses Buch eher abschrecken. Versierten Neurophilosophen aber kann der kompakte Text als Inspiration und Referenz zugleich dienen. --Erik Möller weniger