Gelegentlich hat die Simenon-Leserei etwas Masochistisches -- als ob unsereins nicht selbst genug bekloppte Menschen kennen würde, nein, man tut sich noch die Dramen anderer Leute an. Für diesen gelegentlichen Vorwurf an die Adresse vor allem der Non-Maigrets ist Die Witwe Couderc ein passendes Beispiel. Warum muss Simenon wieder und wieder ein Idylle aufbauen, die bereits von Anfang an auf Messers Schneide steht und mit aller Konsequenz der Zerstörung entgegen geführt … mehrwird? "Geschichten, die das Leben schreibt" wäre hier eine mögliche Antwort, der man kaum widersprechen könnte. Jean kommt eigentlich aus gutem Hause. Er ist jedoch der typische "Abgestürzte", und nach fünf Jahren Gefängnis verschlägt es ihn in eine einsame ländliche Gegend, wo er von der 45-jährigen (Jean ist 28) Tati Couderc aufgenommen wird. Zwischen den beiden entsteht ein Zweckbündnis, Haus und Bett werden zu beiderseitigem Nutzen geteilt. Der Haken? Das Haus gehört nicht wirklich Tati, sondern wird von der Familie ihres verstorbenen Mannes beansprucht, die ihr nicht nur das Dach über dem Kopf missgönnt, sondern auch den jungen "Knecht". Die junge Félicie scheint innerhalb der abgründigen Logik dieses Romans eher überflüssig, aber auch sie trägt dazu bei, dass es Jean nicht gelingt, seine Chance wahrzunehmen. Die Witwe Couderc hat ein paar Kanten zu viel, ist zu widerspenstig und zu voraussehbar. Frappierend ist allerdings die Darstellung der Witwe, geprägt einerseits durch ihre bis ins Kleinste geplante Lebensweise, andererseits durch ihren riesigen Lebenshunger -- eine eindrucksvolle Figur. --Hannes Riffel weniger