Carolyn Jessop schildert in diesem Bestseller ihre Flucht aus einer US-amerikanischen Polygamistensekte. Zwangsverheiratung, engmaschigste Kontrolle und religiöse Heuchelei sind die Bausteine eines Zwangssystems, der Fundamentalist Church of the Latter-Day Saints, von dem hier berichtet wird. Die Geschichte liest sich hochspannend. Was sich einerseits als Zeugnis einer religiösen Splittergruppe (hier einer Abspaltung der Mormonen mit etwa 10.000 Mitgliedern) lesen … mehrlässt, ist gleichzeitig eine allgemeingültige Darstellung von Ungleichheit, Unfreiheit und Unterdrückung nicht nur im Namen Gottes; denn die Mechanismen von Macht und Unterdrückung sind nur allzu oft dieselben. Die Autorin lässt hier ihre Geschichte für sich sprechen: Mit achtzehn wurde Carolyn in eine arrangierte Ehe mit Mwerril Jessop gezwungen, einem fünfzigjährigen Mann, den sie kaum kannte. Sie wurde seine vierte Frau und bekam innerhalb von fünfzehn Jahren acht Kinder bis sie sich mit fünfunddreißig entscheidet zu fliehen. Was sie an Details offenbart, verschlägt einem den Atem: Geburten, die öffentlich inszeniert und zur Demonstration männlicher Macht missbraucht werden, totale Selbstkontrolle und Denunziation der Frauen untereinander im Ringen um die Gunst des männlichen Familienoberhaupts und eine klaustrophobe religiöse Ordnung, der sich insbesondere Frauen und Kinder bedingungslos unterzuordnen haben, die dies, mangels Wissens um eine Welt da draußen, auch tun. Es gelingt nur schwer, das Buch aus der Hand zu legen - nicht zuletzt deshalb, weil die Autorin sich auf die präzise Schilderung ihrer Erlebnisse konzentriert und Wertungen dem Leser überlässt. Dieser erhält einen erschütternden Blick in Aspekte eines fundamentalistischen Amerika, in dem bestimmte Gruppen versuchen, sich jeder Kontrolle zu entziehen. In diesem Fall zum Glück ohne Erfolg; davon zeugt das vorliegende Buch ebenso wie das Vorgehen der amerikanischen Justiz gegen die Praktiken von Polygamisten-Sekten. --Dr. Stefan Rusche, Literaturtest weniger