Was macht ein Porträtfoto so anziehend? Ist es die Möglichkeit jemanden genau und ungeniert betrachten zu können, oder der Eindruck dem Abgebildeten für einen Moment ganz nahe zu sein? Den tiefen Blick in die Augen lassen die Aufnahmen in Porträts, Fotografische Begegnungen mit 100 Persönlichkeiten nicht immer zu. Der Grafiker Emmanuel Tschumi trägt eine Strumpfmaske über dem Gesicht, der Fotograf Dan Cermak liegt auf dem Bauch, den Kopf in einen Sandhügel vergraben, … mehrund von dem Schriftsteller Peter Handke sind nur die großen Hände zu sehen, der Rest ist von einem karierten Blatt Papier verdeckt, auf dem man lesen kann: Peter Handke macht den Eindruck eines Mannes, der weiß, dass das, was ihn am meisten interessiert, nicht in seinem Gesicht zu finden ist. Der ungewöhnlich gestaltete Band präsentiert überwiegend journalistische Auftragsarbeiten, die zwischen 1997 und 2002 in verschiedenen Schweizer Tageszeitungen und Wochenmagazinen erschienen sind. Sie zeigen eine Tendenz in der Schweizer Pressefotografie Ende der 1990er-Jahre, die sich bewusst von seriöser Langeweile und sinnentleerter Inszenierung abgrenzt. "Wir suchten nach einer Sprache, die Pointierung und Glaubwürdigkeit verbinden sollte", schreibt der Chefredakteur der Weltwoche Roger Köppel im einführenden Textteil. Die Aufnahmen bewegen sich im Spannungsfeld zwischen zufälligem Schnappschuss, klassischem Porträt und arrangierter Fotografie. Im Mittelpunkt stehen dabei nicht nur prominente Persönlichkeiten, sondern auch unbekannte Personen, wie die rothaarige Schülerin Eva oder ein asiatischer Angestellter, der mit heruntergelassen Hosen das Gesicht zur Wand gedreht neben einem Kopierer steht, so dass man die aufwändige Tätowierung betrachten kann, die seinen gesamten Rücken und beide Oberarme bedeckt. Ein schöner Band, der anregen möchte, manchmal verstört und immer wieder verführt: zum lustvollen Schauen. --Britta Müller weniger