Am Anfang macht es Shan Sa ihren Lesern nicht leicht. Mit stakkato-haften, fast expressionistischen Sätzen versucht sie ins Innenleben eines Säuglings einzuführen, der gerade erst geboren wird. Es ist ein Wirbeln und Donnergrollen, bis die Ich-Erzählerin Lachen und Stimmen hört und auch der Wirbel der Sprache sich legt. Bestimmt wird es ein Junge, Hoher Herr , hört sie die Stimmen sagen. Es war gleichgültig, wer ich sein würde , heißt es im Roman Kaiserin : Ich war … mehrdieser Unermesslichkeit bereits überdrüssig. Aber jetzt geht der Kampf erst los. Denn der Vater, der eigentlich einen Stammhalter wünschte, um seine Entmachtung zu rächen, ist bitter enttäuscht. Aber das andere, was die Stimme sagte, stimmt. Denn die Ich-Erzählerin trägt tatsächlich den Zorn in sich . Und so wird das wilde Kind in der Verbotenen Stadt bald schon die Aufmerksamkeit des Kaisersohns erregen und zur Herrscherin über das größte Reich unter dem Himmel aufsteigen. Und da sind die Karten dann wieder neu gemischt ... Keine andere Autorin und kein anderer Autor hat uns in letzter Zeit die exotische Vergangenheit Chinas anschaulicher und glaubwürdiger vor Augen geführt als die 32-jährige Schriftstellerin Shan Sa aus Peking, die 1989 nach Paris emigrierte und seitdem auf Französisch schreibt. Mehr noch als ihr Roman Die Go-Spielerin führt Kaiserin zurück in die chinesische Vergangenheit und zeichnet ein ebenso farbenprächtiges wie atmosphärisch dichtes Panorama des siebten Jahrhunderts, als die sagenumwobene Tan-Dynastie im Lande herrschte -- und in der Frauen in Machtpositionen nicht nur die ständige Missgunst der Männer fürchten mussten, sondern auch (als Mütter) die Intrigen der eigenen Kinder. Eigentlich also ist Shan Sa ihrem Thema -- die grausamen politischen Verstrickungen in machthungrigen Zeiten -- treu geblieben. Aber ihr neuer Roman ist noch packender als der letzte. Und der war schon packender als die meisten Neuerscheinungen seines Erscheinungsjahrs. --Isa Gerck weniger