Klappentext:
"Teleny", der im Jahre von Oscar Wildes großem Prozeß wegen "Verführung der Jugend" anonym erschienene homoerotische Roman, ist von allen Herausgebern der Werke Wildes verschämt übergangen worden. Heute wertet ihn die Literaturwissenschaft als wichtigen Gegenpol zu dem lustfeindlichen Idealismus der neoklassizistischen und neoromantischen Liebeslyrik des Fin de siècle, als ein die zynische Doppelmoral des viktorianischen Zeitalters entlarvendes Werk: Die … mehrLiebe von Camille und Teleny zerbricht an gesellschaftlichen Repressalien, so wie es Romeo und Julia in elisabethanischer Zeit und schließlich dem Autor selbst ergangen ist.
Leseprobe:
«Erzähl mir deine Geschichte ganz von Anfang an, Des
Grieux», sagte er, mich unterbrechend, «und wie du ihn
kennengelernt hast.»
«Es war auf einem großen Wohltätigkeitskonzert,
wo er spielte; Auftritte von Amateuren gehören zwar zu einer
der vielen Plagen der modernen Zivilisation, da meine Mutter jedoch
eine der Schirmherrinnen war, fühlte ich mich verpflichtet,
anwesend zu sein.»
«Aber er war doch kein Amateur, oder?»
«O nein! Aber damals fing er gerade erst an, sich einen
Namen zu machen.»
«Gut, also weiter.»
«Er hatte sich bereits am Klavier niedergelassen, als ich
meinen Parkettsitz erreichte. Das erste Stück, das er spielte,
war eine Gavotte, die ich sehr liebte - eine dieser leichten,
anmutigen und einfachen Melodien, die nach lavande ambrée
zu duften scheinen und einen irgendwie an Lully und Watteau
denken lassen, an gepuderte Damen in gelben Seidengewändern,
die mit ihren Fächern flirten.»
«Und dann?»
«Als er ans Ende des Stückes kam, warf er mir ein paar
Seitenblicke zu - und ich dachte, er meinte die Schirmherrin.
Und in dem Moment, als er aufstehen wollte, tippte meine Mutter
- die hinter mir saß - mich mit ihrem Fächer auf die
Schulter, nur um eine der vielen unpassenden Bemerkungen zu machen,
mit denen die Frauen einem ewig auf die Nerven gehen, so daß
er, als ich mich wieder nach vorn wandte, um zu applaudieren,
verschwunden war.»
«Und was geschah danach?»
«Wart einmal. Ich glaube, dann wurde irgend etwas gesungen.»
«Aber spielte er denn nicht noch einmal?»
«Oh, doch! Etwa in der Mitte des Konzerts kam er wieder
heraus. Bevor er sich ans Klavier setzte, schienen seine Augen,
während er sich verbeugte, irgend jemanden im Parkett zu
suchen. Das war, glaube ich, der Augenblick, in dem unsere Blicke
sich zum erstenmal trafen.»
«Wie sah er denn aus?»
«Nun, er war ein ziemlich großer, sehr schlanker junger
Mann von 24 Jahren. Sein Haar, kurz und gelockt - nach der Art,
wie Bressan, der Schauspieler, es in Mode brachte - hatte eine
bestimmte aschfarbene Tönung; das lag aber - wie ich später
erfuhr - daran, daß es immer kaum wahrnehmbar gepudert war.
Jedenfalls war die Helligkeit seiner Haare ein starker Kontrast
zu seinen dunklen Augenbrauen und dem kurzen Moustache.
Kartoniert
ISBN: 978-3-499-15376-1
16. A.
173 S.
H19.1 cm x B11.5 cm x D0.9 cm 109 g weniger