Ein Rezensent wundert sich. Er hat sich tapfer gestählt an den Serienkillern einer Mo Hayder, hat die Fressattacken eines Hannibal Lecter mit flauem Magen durchgestanden. Nach den Orgien am Seziertisch von Tess Gerritsen war ihm oft speiübel, aber immerhin, er glaubte sich nun tough genug für jede künftige Bluttat. Wie falsch er lag. Denn nun hält er Mark Nykanens zweites Werk in Händen. "Fans von Thomas Harris [...] werden dieses Buch aus den Regalen reißen!", jubelt … mehrPublishers Weekly . Anzunehmen. Und doch -- schon nach wenigen Seiten fragt sich der Rezensent: Wie weit darf Literatur eigentlich gehen? Der schlichte Plot um den Bildhauer und Ich-Erzähler Ashley Stassler ist schnell erzählt. Er folgt einer tausendfach erprobten Dramaturgie und speist sich aus bekannten Quellen. Nykanen vergeudet keine Zeit, uns auf die Farm des weltberühmten Künstlers zu locken, in Wahrheit ein Serienkiller, der in seinem Keller Familien zu Tode martert, um aus ihnen seine schauerlichen Skulpturen zu formen. Dafür nun nimmt sich der Autor, der sich glucksend einer verdorbenen Fantasie rühmt, alle Zeit der Welt. Was auf den folgenden 414 Seiten an Folter-, Tötungs- und Sexualexzessen auf den Leser niederkommt, ist von solch menschenverachtender Qualität, dass ein zugegebenermaßen schockierter Rezensent noch einmal fragt: Wie weit darf Literatur eigentlich gehen? Spannend! Gruselig! Erregend! -- Werbefloskeln, die angesichts der Käfighaltung und grausamen Auslöschung einer Familie nur peinlich berühren. Der Rezensent, gewiss nicht prüde oder zimperlich, fragt sich, welche Lesehaltung Nykanen ihm abverlangt. Soll er sich delektieren an dem nicht endenwollenden sadistischen Blutrausch, sich am Leid einer in Ketten liegenden Familie ergötzen? Mit diesem Wort gewordenen snuff-movie (Menschen werden vor laufender Kamera getötet), wurde eine Grenze klar überschritten. Man sollte sich fragen, ob man sich als Leser nicht zum voyeuristischen Genießer der Ausgeburt einer verdorbenen Fantasie macht. Lesend scheint eine Distanzierung unmöglich. Man macht mit -- oder eben nicht. Das vielleicht Kurioseste zu Anfang: Die Widmung. Für meine Mutter [...], die uns viele düstere und lustige Geschichten erzählt hat . Jetzt muss der Rezensent an seine eigene Mutter denken. Sollte er ihr jemals solches Gedankengut dankend verehren, er müsste sich nicht wundern, enterbt, als Sohn geächtet, und mit einer saftigen Ohrfeige auf immer davongejagt zu werden. Aber vielleicht sind Mütter amerikanischer Thrillerautoren toleranter. --Ravi Unger weniger