Bei der Uraufführung im Jahr 1976 wurde Satansbraten, Rainer Werner Fassbinders Groteske über die finanziellen wie die sexuellen Nöte eines Dichters, vor allem als Provokation wahrgenommen. Man gab sich schockiert von der wüsten, kolportagehaften Geschichte und ihrer nicht minder radikalen Umsetzung und sah in beidem nichts als eine egomanische Übertretung jeglicher Grenzen des (guten) Geschmacks. Auch heute, mehr als ein Vierteljahrhundert später, hat Fassbinders … mehrschonungslose Demontage des bundesrepublikanischen Kunst- und Kulturbetriebs der 70er-Jahre nichts von ihrer Intensität verloren. Nur ermöglicht die zeitliche Distanz einen anderen Blick, in dem die spontane Entrüstung einem tieferen Verständnis weicht. Fassbinder mag damals von sich und seiner eigenen Situation in Deutschland besessen gewesen sein, aber er ist sich dieser Besessenheit durchaus bewusst und hat ihr seinen vielleicht komödiantischsten Film abgerungen. In den Jahren des Aufbruchs hat man Walter Kranz (Kurt Raab) als Dichter der Revolution gefeiert, doch 1968 ist Mitte der 70er-Jahre weit weg, viel weiter als die reinen Jahreszahlen vermuten ließen. Seit geraumer Zeit leidet er nun schon an einer Schreibblockade; seine Mittel werden immer knapper; seine Gönnerinnen und Bewunderinnen gehen auf Distanz; und zu Hause hat er mit den Forderungen seiner Frau (Helen Vita) und den Ticks seines zurückgebliebenen Bruders (Volker Spengler) zu kämpfen. Nachdem er ein Gedicht geschrieben hat, das exakt Stefan Georges "Der Albatross" entspricht, steigert er sich in die Idee hinein, ein Wiedergänger Georges zu sein. Kranz versammelt nach dessen Vorbild einen "Kreis" um sich, nur muss er dessen Teilnehmer bezahlen und leistet damit seinem Niedergang weiteren Vorschub. Walter Kranz ist -- auch wie ihn Kurt Raab in einer beispiellosen schauspielerischen Tour de Force verkörpert -- eine Art von Monster. Dieser kleine, korpulente Mann will die Menschen um sich herum nur manipulieren und beherrschen. Er spielt mit ihnen und hasst sie. Nur seine Eigenliebe ist noch größer als seine Verachtung für die anderen; zugleich genießt er nichts mehr als Erniedrigungen. In seinem Weg vom Idol der revolutionären Linken zu einem misanthropischen Propheten des zivilisatorischen Verfalls der menschlichen Gesellschaft, der ihn in die Nähe der rechten Dichter und Denker der 20er-Jahre rückt, spiegelt sich für Fassbinder der Weg, den die Bundesrepublik nach 1968 genommen hat. Man spürt Fassbinders Verbitterung und Verzweiflung angesichts einer Gesellschaft, die nichts aus ihrer eigenen Geschichte gelernt hat, die verdammt zu sein scheint, ihre Fehler immer und immer wieder zu wiederholen. Statt zu resignieren und wie Kranz einfach nur zu hassen, reagiert er auf seine düstere Wahrnehmung der deutschen Wirklichkeit mit beißendem Humor. In den bizarren Überzeichnungen offenbart sich aber nicht nur Fassbinders Bild vom faschistischen Typus, das er in den folgenden Jahren in Filmen wie Bolwieser und Despair Eine Reise ins Licht noch weiter ausgeführt hat; sie geben ihm auch den Raum für einige seiner atemberaubendsten visuellen Kompositionen. Manchmal wirkt Satansbraten wie eine Vorstudie zu seinem elegantesten Film Lili Marleen. In diesen Momenten von überirdischer Schönheit offenbaren sich eine geradezu unerhörte Zärtlichkeit und Sentimentalität unterhalb der grotesken Oberfläche. In ihnen liegt eine künstlerische und menschliche Größe, die den ursprünglichen, von Unverständnis und Wut geprägten Reaktionen auf Satansbraten jede Basis nimmt. --Sascha Westphal weniger