Alle Menschen sind Praktiker und Theoretiker der Zeit. Zeit „steckt“ in uns. Und Zeit tritt uns als ein gar sonderbares Ding entgegen, das einen merkwürdigen Zwang über uns auszuüben vermag. Je komplexer eine Gesellschaft, desto vielschichtiger die Zeitabläufe, die sich überlagern, miteinander und nebeneinander in zeitliche Verbindungen eintreten. Die qualitativen Veränderungen in der Zeitwahrnehmung, im Zeitempfinden und in der gesellschaftlichen wie individuellen … mehrStrukturierung von Zeit – darum geht es in diesem Buch in erster Linie – kommen sinnfällig in den neuen Kommunikationstechnologien zum Ausdruck, die einen weltweiten Zustand von Gleichzeitigkeit anstreben. Wer Gleichzeitigkeit beherrscht, kontrolliert die daraus ableitbaren zeitlichen Abhängigkeiten. Gleichzeitigkeit bleibt indes eine Illusion. Doch selbst als Illusion hat Gleichzeitigkeit Folgen für die Qualität der Zeit. War es in der Phase der Industrialisierung vor allem die Gleichsetzung von Zeit und Geld, die Zeit zum knappen Gut machte, so wird Zeit jetzt dynamisiert: sie wird zur beschleunigten Innovation.
Das Thema der Eigenzeit geht durch alle Kapitel hindurch. Das Entstehen einer spezifischen Ich-Zeit-Perspektive, die zwischen Eigen- und Fremdzeit zu unterscheiden weiss, hängt mit dem Herausbilden der individualisierten Zeit zusammen, aber auch mit der Intensivierung des Arbeitslebens und dem zunehmenden Zeitdruck. Vor allem durch das Heraustreten der Frauen aus der Privatzeit der Familie und ihre Teilnahme an der öffentlichen Zeit des Erwerbsleben wuchs das Verlangen nach einer neuen Verfügungskategorie: der Verfügung über die eigene Zeit, an der Rechte angemeldet werden, so als ginge es darum, daran Eigentum zu erwerben. Eine solche Konfiguration bringt Konflikte und Verteilungsprobleme von Arbeit und Zeit mit sich. Zeit ist zum Gegenstand der Politik geworden. Herkömmliche Selbstverständlichkeiten werden gesprengt, und die etablierte Unterscheidung von Arbeit und Freizeit zerfällt. weniger